Alleinsein

„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“, sagt die Bibel gleich am Anfang, bevor es richtig losgeht mit Gott und der Welt (1. Mose 2,18). Alleinsein. Die es sind, wollen es nicht. Die es nicht sind, sehnen sich danach. Es ist wie immer: Der ausgewogene Mix zwischen Alleinsein und Zusammensein macht es. Wer (immer) allein ist, will das möglichst schnell anders haben. Wer (immer) mit anderen zusammen sein muss, bekommt den Gruppenkoller. Alleinsein ist eine der markantesten Erfahrungen, die ein Mensch machen kann. Ich bin einmal beim Joggen vor dem Frühstück während einer Tagung in der brandenburgischen Endmoräne vom Alleinsein nicht nur überrascht, sondern nahezu tätlich angegriffen worden: Ich hatte mich verlaufen. In einem Wald, der höchstens ein paar wenige Hektar groß war. In dem kleinen Waldstück, durchzogen von Hügeln, die einer dem anderen glichen, hatte ich schnell die Orientierung verloren und fand mich nicht wieder heraus. Alleingeblieben, und der Wald war schuld daran. Weil sich das so unauslöschbar einprägt, das mit dem Alleinsein, kann man etwas daraus machen. Die Tourismuswirtschaft wirbt mit „Die Nur-der-See-und-ich-Zweisamkeit“ und nutzt die (männliche) Sehnsucht, einmal im Leben den einsamen Wolf zu machen. Die geistlichen Gemeinschaften in den Klöstern haben das Alleinsein zu einer Kulturleistung entwickelt. Und so geht es weiter: Hobbykeller, Lesesessel, Wald-Spiritualität, Zeitungs-Lektüre, Facebook-Nachrichten, Straßenmusik. Das Alleinsein wird zelebriert, weil es eine unerschöpfliche Energiequelle ist. Und im gleichen Moment wird es erlitten und macht krank oder jedenfalls verwirrt. Manchen Leuten sieht man und hört man an, dass sie zu viel alleine gelassen werden.
Das „Kirchenblättchen“ ist eine Einladung, es mit dem Alleinsein aufzunehmen. Was wir in der Kirche machen, machen wir gemeinsam. Und zugleich bieten wir Orte und Stunden der Stille und des Alleinseins. Das ist unsere Chance. Wir werden spüren, wie selbstverständlich beides gelingt. Alleinsein tut gut und Alleinsein tut nicht gut. Als Gemeinde haben wir beides im Blick. Und die Bibel? „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ Das wird als eine Selbstaufforderung des Schöpfers beschrieben: Gott merkt für sich, dass das Alleinsein seines Menschen nicht gut sei. Alleinsein muss ein Ende haben. Dann lässt es sich auch gestalten.
Lassen Sie sich einladen zum Dabeisein und zur Stille!
Ihr Pfarrer Christoph Carstens

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Er beugt sich zu uns herab – damit wir aufrecht leben können

Bei der Suche nach einem passenden Weihnachtsgeschenk bin ich auf einen Kalender des Verlags Andere Zeiten gestoßen. „Wenn die laute Welt ganz leise wird“ lautet der Titel des Kalenders, und tatsächlich ist ja die Advents- und Weihnachtszeit eine etwas „andere Zeit“ im Ablauf des Jahres. Diese Tage prägen uns. Sie sind so stark, dass wir uns unser ganzes Leben lang daran erinnern und in gewisser Weise auch immer wieder auf sie zuleben. Die Adventszeit zeichnet sich aus durch Ruhe und Besinnlichkeit, durch Sehnsucht nach Harmonie und Nähe, durch Wärme und Wohlbehagen. Manche Menschen aber fürchten sich vor dieser Zeit. Vielleicht, weil genau diese Sehnsüchte wieder einmal unerfüllt bleiben werden und die Angst vor Enttäuschung immer größer wird. Und manch einer fühlt sich gerade in dieser Zeit besonders verloren.

Gegen diese Verlorenheit kommt Jesus Christus in die Welt. Er kommt zu uns Menschen, um uns in die verborgenen Kammern unserer gequälten Gedanken zu folgen. Wenn niemand uns sucht und niemand uns findet, wenn niemand uns braucht und niemand uns sagt, wozu es uns gibt, kommt Jesus Christus zu uns, um uns Verlorene zu retten. Er begibt sich dorthin, wohin andere Menschen uns nicht folgen. Er sagt uns zu, dass Gott sich sein Bild von uns bewahrt durch alle Zerstörung und Verkümmerung hindurch. Jedes Leben hat den Sinn, dass es geliebt ist. So können wir aufrecht leben.

„Aufrecht unter dem Himmel“ – das ist der Titel des neu erschienenen Buchs des großen evangelischen Theologen Jörg Zink anlässlich seines 90. Geburtstags im November diesen Jahres. Das Buch versammelt neben zentralen Gedanken und Texten aus Zinks Gesamtwerk Beiträge seiner wichtigsten Weggefährten.

Vielleicht suchen auch Sie noch ein passendes Weihnachtsgeschenk und merken: Ein mit Bedacht ausgewähltes Wort kann besser sein als manch teurer Pralinenkasten.

Bleiben Sie behütet und seien Sie mit den besten Wünschen zur Adventszeit herzlich gegrüßt,  Ihr Pfarrer Dr. Ekkehard Steinhäuser

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Ökumenischer Jugendchor im Gottesdienst zur Eröffnung der Friedensdekade 2012

„Mutig für Menschenwürde!“, so lautet das Motto der Friedensdekade in diesem Jahr. Den Gottesdienst zur Eröffnung der Friedensdekade in der Nikolaikirche am 11.11.2011 gestalteten zwei Gruppen der Gemeinde: Die „Junge Gemeinde“ und der „Ökumenische Jugendchor“.

Die Lieder des Jugendchores findest du auf YouTube.

Celebrate!

Hine mah tov

Jesus, gib uns Menschen deinen Frieden

Schalom (Kanon)

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Mutig für Menschenwürde! Mehr als 180 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990

„Mutig für Menschenwürde!“, so lautet das Motto der Friedensdekade in diesem Jahr. Den Gottesdienst zur Eröffnung der Friedensdekade in der Nikolaikirche am 11.11.2011 gestalteten zwei Gruppen der Gemeinde: Die „Junge Gemeinde“ und der „Ökumenische Jugendchor“. Ein thematischer Schwerpunkt war die Auseinandersetzung mit der Bedrohung durch rechtsextremes Gedankengut und rechte Gewalt. Zum Einstieg haben wir einen Teil einer Präsentation gesehen, die die Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit 1990 dokumentier. Diese Präsentation kann hier heruntergeladen werden (.ppt-Datei ohne Musik ca. 500 kB; .pptx-Datei mit Hintergrundmusik, ca. 22MB):

Mehr als 180 Todesopfer rechter Gewalt (ohne Musik)

Mehr als 180 Todesopfer rechter Gewalt (mit Musik)

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15 Jahre »Grüne Damen«

Symbolisch für 15 Jahre Grüne Damen hängen 15 Grüne-Damen-Kittel am Garderobenständer in der Marktkirche Quedlinburg

„Grüne Damen“ im Krankenhaus – das war 1997 eine neue Idee in Quedlinburg. Kirchlich engagierte Frauen boten dem Krankenhaus einen Besuchsdienst durch qualifizierte Ehrenamtliche an. Die heutige Pflegedienstleiterin erinnert sich, dass manche Mitarbeiter damals skeptisch waren. Heute tun die Grünen Damen – und ein grüner Herr – im „Harz-Klinikum Dorothea Erxleben, Standort Quedlinburg“ einen allseits geschätzten Dienst, der in einer Feierstunde innerhalb der „Musikalischen Vesper“ am 5.10.12 gewürdigt wurde.

Pfarrer Matthias Zentner, der die Grünen Damen schult und seelsorgerlich betreut, und Superintendentin Angelika Zädow ließen im Gespräch die Geschichte von der Fußwaschung Jesu lebendig werden: Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße, der König dient den Knechten: „Ein Beispiel gebe ich euch… Macht es auch so!“

Dieser Dienst ist nicht einfach und erfordert immer wieder Kraft. Der Gemeindechor erinnerte die Grünen Damen darum an die Einladung Jesu: „Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid: Ich will euch erquicken!“

In ihrem abschließenden Dank bestätigte Lore Holstein aus dem jetzigen Leitungsteam, dass die Arbeit aus der in der Andacht angesprochenen Motivation getan wird.

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Das Licht des Lebens

Mit 15 Jugendlichen und einem Bergführer habe ich im Sommer eine Höhle erkundet. Gut fünf Stunden hat dieser Weg in tiefe Dunkelheit und wieder heraus gedauert. Fünf Stunden voller Abenteuer. Gekribbelt hat es bei dieser Herausforderung. Ganz. ohne Respekt vor der Tiefe und all den Gesteinsschichten über uns war es auch nicht – vor allem dann, wenn es richtig eng wurde, wir uns durch Felsspalten zwängen mussten. Als das eiskalte Höhlenwasser in die Gummistiefel lief und es immer weniger saubere und trockene Stellen an unserer Kleidung gab, befürchtete ich, die Stimmung würde kippen… Weit gefehlt! Wenn ich mir die Fotos von dieser Tour anschaue, sehe ich viele angestrengte, aber dennoch glückliche Gesichter. Das mag damit zu tun haben, dass wir alle diese Herausforderung angenommen und auch gemeistert haben.

Ich glaube aber, dass es bei dieser Wanderung einen viel wichtigeren Punkt gegeben hat. Ermutigend war, wie eine von mir sehr geliebte Bibelstelle im wahrsten Sinne des Wortes beleuchtet wurde. An einer Stelle tief in der Höhler bat uns unser Bergführer darum, uns einen festen Halt zu suchen und dann die Lampen auszumachen. Nachdem auch er sein Licht gelöscht hatte, wurde mir schlagartig bewusst, wofür diese Szene steht. Für Situationen im Leben, in denen es richtig dunkel ist. Für Tage, an denen wir nichts mehr sehen und hören können (oder wollen) und wo wir nichts und niemanden mehr riechen können. (In der Tat war es dort unten geruchlos, dunkel und still wie im Grab). Wenn ein Mensch, den wir lieben, viel zu früh stirbt, wenn uns all die Dinge, die wir zu tun haben, über den Kopf wachsen, oder wenn uns die Decke auf den Kopf fällt, weil wir nichts zu tun haben, niemand uns·braucht oder nach uns fragt: Dann fühlt sich das Leben vielleicht so an wie dort unten in der Höhle. — All das geht mir durch den Kopf und ich höre in dieser finsteren Höhle die Jesusworte, die mir so vertraut sind, ganz neu:

„Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Dazu entzündet unser Berg- und Höhlenführer noch ein Teelicht – und es verströmt wirklich Helligkeit! Das unterstützt noch dieses schöne Bibelwort. Ja, ich will das Licht des Lebens haben, ich möchte spüren, wie es tröstet, die Dunkelheit vertreibt und wie es mir hilft, die Dinge im rechten Licht zu sehen. Ich möchte wie in der Höhle erleben, wie das Licht mir Lebensfreude schenkt – manchmal allem Augenschein zum Trotz. So ermutigt sind wir weiter gelaufen, geklettert, gekrochen. Mit den Stirnlampen auf dem Kopf und mit Licht in uns drin. Und sind aus Dunkelheit und Kälte herausgestiegen ins Leben. Wie das gerochen hat! Herrlich!

Matthias Zentner, Pfarrer und Klinikseelsorger in Quedlinburg

(Geschrieben für die Rubrik „Gedanken zur Zeit“ der Mitteldeutschen Zeitung, dort veröffentlicht am 22.9.2012.)

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38 Grad, Sonne, blauer Himmel und bewegende Erinnerungen — der 15. Bonhoeffertag in Friedrichsbrunn im Harz

Ein Bericht von Pastor i.R. Dr. Günter Ebbrecht, Einbeck

Nun schon zum 15. Mal lud die Kirchengemeinde Friedrichsbrunn zum Bonhoeffertag ein, in diesem Jahr am 19. Augustt. Petrus meinte es gut mit der ‚Bonhoeffergemeinde‘. Bei klarer Sonne und unter blauem Himmel wurde der Tag mit einem Gottesdienst im Garten des Bonhoefferhauses eröffnet. Unter den Linden wehte ein laues Lüftchen. Das kräftige Dach der Baumkronen, auf den alten Fotos der Familie aus der Zeit um 1915 noch zarte Lindenbäumchen, schützte die Gottesdienstgemeinde und zwei Kinder mit ihren Eltern und Paten, die getauft wurden, vor der prallen Sonne.

Die Gemeindepfarrerin Ursula Meckel gestaltete den Gottesdienst zusammen mit der Superintendentin des Kirchenkreises Halberstadt Angelika Zädow. Wurde beim 14. Bonhoeffertag 2011 ein neues Taufgeschirr vorgestellt, so konnten 2012 damit zwei Kinder der Kirchengemeinde Friedrichsbrunn getauft werden. Gottes Volk wächst! Als Taufspruch schlug Superintendentin Zädow die Tageslosung vor: „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“ (1.Petr. 5,5). In einer Dialogpredigt loteten die beiden Predigerinnen aus, was ‚Demut‘ bedeutet: „Ich weiß, dass ich das Wichtige im Leben geschenkt bekomme und mir nicht erarbeiten oder verdienen kann und muss: die Liebe der Eltern und Familie, Freundschaft, vertrauen können, Geborgenheit erleben, glauben…“ Hochmütig sind jene, die meinen, sie verdanken alles sich selbst, vor allem das, was gelingt.

Das Wort ‚Demut‘ verrät, dass Mut dazu gehört, demütig zu sein. Damit öffnete Pastorin Meckel eine Tür zu Dietrich Bonhoeffer. Sie zitierte aus seinem Gedicht ‚Wer bin ich?‘ das Schlussgebet: „Wer ich auch bin. Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott.“ – Ausdruck der Demut vor Gott. In einer Charakteristik Bonhoeffers von einem Mithäftling heißt es: „Immer bewies Bonhoeffer Haltung. Er war ganz Bescheidenheit und Freundlichkeit und verbreitete um sich eine Atmosphäre der Dankbarkeit, dass wir leben.“ So setzte der Taufgottesdienst einen ersten Schwerpunkt des Tages. Die Ortsgemeinde war einbezogen, so dass sichtbar wurde: der Bonhoeffertag Friedrichsbrunn wird getragen vom Volk Gottes vor Ort. Er ist geerdet, nicht nur in der frischen Luft unter den Linden mitten in der Mittelgebirgslandschaft des Harzes, an die sich Dietrich Bonhoeffer im Tegeler Gefängnis als gute Geister, die ihn umgeben, erinnert. Natur als Gottes schöpferisches Geschenk und Menschen als Geschenke Gottes, als ‚Gotteskinder‘, wie die Predigerinnen im Gottesdienst weiter erläuterten!

Im Gottesdienst und im Verlauf des weiteren Tages wurden die Teilnehmer/innen darüber informiert, dass am 9. Juni 2012 ein ‚Träger- und Förderverein Bonhoeffer-Haus Friedrichsbrunn‘ gegründet wurde. Die Gäste aus nah und fern, darunter auch Mitglieder der Internationalen Bonhoeffergesellschaft wurden eingeladen, Mitglieder zu werden, um die Erinnerungs- und Bildungsarbeit im Bonhoefferhaus zu unterstützen. Mit ihr wird an die gesamte große und mutige Familie Karl und Paul Bonhoeffer erinnert und ihr Wirken gestern, heute und morgen den Besucher/-innen erschlossen.

Dies vermochte in einer besonderen Mischung aus persönlichen Eindrücken, geschichtlichem Gedenken, historischen Reflexionen und humorvollen Geschichten Dr. Tobias Korenke aus Berlin, der Enkelsohn von Dr. Rüdiger und Ursula Schleicher, geb. Bonhoeffer, mit seinem Vortrag in der Bonhoefferkirche: „In weiter Ferne, so nah. Meine Großeltern Rüdiger und Ursula Schleicher, geb. Bonhoeffer“. Er nahm am Nachmittag die Besucher/innen mit auf den Weg dieser beiden Menschen, die seinem Eindruck nach nur gemeinsam zu denken und zu beschreiben sind. Dies zeigten u. a. Briefe aus den Jahren 1924 bis 1944, die der Referent im Moment entziffert und intensiv studiert. „Er (Rüdiger Schleicher) wurde das, was er war, durch sie (Ursula Bonhoeffer). Und sie wurde das, was sie war, durch ihn. Und trotzdem – oder vielleicht auch deswegen – waren sie beide ganz eigenständige Persönlichkeiten,“ so der Referent.

Tobias Korenke erzählte zunächst den Werdegang seines Großvaters und seiner Großmutter getrennt voneinander, bis daraus 1923 eine gemeinsame Geschichte wurde. Er verwies dabei u. a. auf die Biografie Rüdiger Schleichers von Uwe Gerrens. Er hob die Selbstbezeichnung Rüdiger Schleichers als eines ‚süddeutschen Liberalen‘ hervor. Seine Briefe und seine Lektüre zeigten, „wie sehr schon der Student davon überzeugt war, dass es weniger individuelle Interessen als Tugenden und Gemeinsinn sind, die einen politischen Verband zusammenhalten.“ Korenke zeichnete das Bild seines Großvaters als Vertreter einer ‚national-kommunitären‘ Kultur, zu der der Referent u. a. auch Max Weber und Friedrich Naumann zählte, die Rüdiger Schleicher studierte.

Auch Korenkes Großmutter Ursula war bestimmt von einer den Menschen zugewandten Lebensweise, die von ‚Mitgefühl‘ geprägt war. Das Elternhaus, die Geschwisterschar und die Freundschaften haben dazu beigetragen, dass sie ‚Fürsorgerin’ (heute: ‚Sozialarbeiterin‘) wurde und in einem Berliner Stadtteil tätig war, der, wie der Referent durch Recherche herausfand, zum Rotlichtmilieu gehörte: „Darüber hätte meine Großmutter uns nie berichtet,“ jedoch von ihrem beruflichem Engagement für sozial schwache Familien. Liebevoll beschrieb der Enkelsohn seine Großmutter, die er erst zwei Jahrzehnte nach der Ermordung seines Großvaters erlebte: „Ich finde: Schon auf den bekannten Familienbildern der acht Bonhoeffer-Kinder fällt meine Großmutter auf – weil sie besonders schön war, und schön blieb sie bis ins hohe Alter. Sie hatte wunderbare Haare, die auch im Alter noch schwarz waren, und sehr schöne große dunkle, warme, sanfte Augen. Ihre Haut kam mir auch im hohen Alter noch glatt und durchscheinend vor. Und“ – hier spricht der Enkel – „sie roch unübertroffen gut. Ihre entschiedene, klare Art muss Rüdiger sofort gefallen haben… Sie hatte einen wunderbaren trockenen Humor, der Spott durchaus einschließen konnte. Und sie liebte die Musik. Sie hatte auch eine schöne Stimme.“

Tobias Korenke beschrieb nicht nur anschaulich das Leben im Hause Bonhoeffer und im Hause seiner Großeltern, wie dies den Kindern ihre Mutter Christine Korenke, geb. Schleicher oft erzählt hat. Er schilderte die politische Grundhaltung der Herkunftsfamilie, die die Nazis ablehnten und die gesamte Familie in den politischen Widerstand führte. Die bedrückende berufliche und politische Situation Rüdiger Schleichers in der zunehmenden Pervertierung des Rechts- in einen Unrechtsstaates mit Naziterror wurden in seinen Ausführungen ebenso lebendig wie die Kraftquellen des Widerstandes erkennbar wurden: die Bekennende Kirche, die Ablehnung der Judenverfolgung, das Wissen um die barbarische Rechtsbeugung, die durch ‚Mitwissen‘ das Gewissen schärfte.

Dem Referenten gelang es, ein Ehepaar im Widerstand zu zeichnen, ohne einer ‚Heldenverehrung‘ zu verfallen. Als Historiker wahrte er einen reflexiven Abstand zur eigenen Familie und fragte zum Schluss eindringlich: „Wie wird man (gemeint ist hier u.a. die Großmutter) mit so einem Verlust fertig? Und wie geht man mit dem Wissen darum um, dass die Liebsten im eigenen Land, von ‚Landsleuten‘ umgebracht wurden? Wie konnte man in einem Land weiterleben, in dem die ‚Mörder unter uns sind‘ …?“ Er gestand freimütig: Ich weiß es nicht.

Knapp schilderte er die finanziell engen Verhältnisse nach dem Krieg und die seelischen Wunden angesichts der langen Weigerung der BRD-Justiz, die Unrechtsurteile des Volksgerichtshofes aufzuheben und das Wirken des Widerstandes zu rehabilitieren. Er führte aus: „Ich bin davon überzeugt: Meine Großmutter hat die Ermordung ihres Mannes, die Ermordung ihrer engsten Verwandten nie überwunden. Ihre Erfahrung, was Menschen Menschen antun können, hat sie tief geprägt. Sie hat gelernt, damit zu leben. Irgendwie.“ In wenigen Strichen zeichnete er die Nachkriegsgeschichte seiner Großmutter. Allmählich erklang wieder Musik im Hause und es wurden Feste gefeiert. Das Interesse an Politik erwachte erneut und das Herz für sozial Schwache wurde wieder weit. Doch die tiefe Verwundung blieb, so dass der Großenkel sich scheute, die Großmutter nach den letzten Monaten und Tagen der Haft des Großvaters zu fragen und wie sie mit dem gewaltsamen Tod ihres Mannes umging.

Der Enkel verschwieg die ins Bodenlose führende Frage nicht: Wofür? Die vordergründige Antwort, dass der 20. Juli 1944 dazu beigetragen habe, Deutschland in die Völkerfamilie aufzunehmen, reiche ihm nicht. Er fragte bohrend nach dem Preis, den die Männer und Frauen des Widerstandes samt ihrer Familien gezahlt hätten. „War es das wert? Wofür?“ So fragt der Enkel sich, der diese Schwindel erregende Frage weder seiner Großmutter noch seiner Mutter wagte zu stellen. Er selber findet die Antwort darauf in der Formulierung von Rabbiner Albert Friedländer: „Das große Geschenk, das uns durch die Männer (ergänze: auch Frauen) des Widerstandes erreicht, ist der Beweis, dass Widerstand möglich war, genau in der Zeit, in der die große Mehrheit das Gift getrunken und sich unter die Diktatur gestellt haben. Sie standen fast allein.“ Diese Antwort klingt bescheiden, nicht heldenhaft und doch fordert sie mutige Menschen, die zugleich ‚demütig vor Gott‘ sind. Tobias Korenke ermutigte die Zuhörer/-innen, die ‚Möglichkeit zur Alternative‘ als Ansporn zu ergreifen. Denn nichts ist alternativlos und sog. Sachzwänge sollten uns nicht von der Suche nach besseren Lösungen und ihrer Umsetzung abhalten. Dazu braucht es einen couragierten Geist. „Rüdiger und Ursula Schleicher haben diesen Geist vorgelebt. Sie konnten und wollten nur so leben.“ Mit diesen Worten entließ der Referent seine Zuhörerschaft, die ihm mit einem kräftigen Applaus dankte.

Der 15. Bonhoeffertag klang aus in einem meditativen und zugleich ermutigenden Abschluss einer Collage aus Texten und Musik, die Angelika Zädow, Sopran, und Ursula Meckel, Sprecherin, begleitet von Kirchenmusikdirektor Gottfried Biller vortrugen. „Wir wollen aufstehn, aufeinander zugehn, voneinander lernen, miteinander umzugehn. Aufstehn, aufeinander zugehn und uns nicht entfernen, wenn wir etwas nicht verstehn“, sang die versammelte Gemeinde zum Schluss, gestärkt und ermutigt von Gottes Aufstand und der Menschen Widerstand, wie ihn die Familie Bonhoeffer in unterschiedlicher Weise in ihrer Zeit geglaubt und gelebt hat. Pastorin Meckel lud alle ein, am 25. August 2013 den 16. Bonhoeffertag zu feiern – so Gott will und wir leben. 2013 ist das Jahr, in dem der Ankauf des Ferienhauses der Bonhoeffers in Friedrichsbrunn sich zum 100. Mal jährt. Ein Grund mehr, den couragierten Geist dieser Familie tiefer zu verstehen in einer Umgebung, die Dietrich Bonhoeffer als „gute Geister, die mich umgeben,“ bezeichnet hat.

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Pfingstbegegnungen 2012

(28. Mai 2012, Pfingstmontag) Zusammenkommen, plaudern, Spaß haben, Gottesdienst im Freien feiern – alles möglich auf dem großen Gelände der „Royal Rangers“, der Pfadfindergruppe der Freien Christengemeinde. Gegen Mittag kamen sie auf dem Trappenberg zusammen, etwa achtzig Leute aus christlichen Gemeinden in Quedlinburg, zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Auto: Auf dem Grill brutzelten leckere Steaks und Würstchen, Grillmeister waren zwei Männer von der Mittagstafel im Regenbogen-Haus.

Zur Zeit der größten Mittagshitze dann der ökumenische Gottesdienst, vorbereitet und geleitet von Vertretern der beteiligten Gemeinden: Gemeindereferent Thomas Dammann, Pastor Reinhard Meyer, Kirchenmusikdirektor Gottfried Biller, Gemeindepädagogin Melanie Staib, Pfarrer Ekkehard Steinhäuser. Luftballons veranschaulichten die natürliche und die geistliche Wahrheit: Wir brauchen das rechte Maß an Kraft, nicht so viel, dass wir vor Kraft nicht gehen können (oder platzen), nicht so wenig, dass wir am Boden liegen, wenn uns die Puste ausgegangen ist, sondern die rechte Spannkraft, um unsere Aufgaben meistern zu können. Und wir brauchen den Geist Gottes, der uns „nach oben zieht“, eine Orientierung auf Gott gibt und die Dinge, die bleiben.

Dieser Geist wird uns gegeben, wenn wir um ihn bitten, wenn wir, wie die ersten Christen, in Gemeinschaft mit anderen Christen bleiben und das tun, was Gottes Wille für unser Leben ist.

Den Abschluss des Gottesdienstes bildete nicht nur ein Segenswort, sondern auch eine Segenshandlung: Als Salbung mit Öl, ein Kreuz auf die Stirn oder die Hand. Und da steht dann der freikirchliche Christ beim evangelischen Pfarrer, und der evangelische lässt sich katholisch segnen… mit der Bitte, Gott möge mir in einer schwierigen Situation beistehen, oder mich mutiger machen, über meinen Glauben zu reden. Ein Zeichen auch dafür, dass wir Gottes Wirken bei den anderen und durch die anderen anerkennen.

Zum Schluss steigen hundert Luftballons in den Himmel: Wir wünschen uns, dass von uns etwas ausgeht, dass wir erkannt werden als Menschen, die durch Jesus eine Verbindung zu Gott haben.

Wenn man bei solch einem Anlass in die Runde schaut, kann einem schon der Gedanke kommen: „Von denen sind aber wenig da.“ Und selbstkritisch überlegt man weiter: „Von uns hätten auch mehr kommen können.“ Ist die Vorstellung, dass solch ein Tag viele oder alle Christen der beteiligten Gemeinden zusammenführt, illusorisch? Wir erleben die Begegnungen an solchen Tagen als Bereicherung – und die wünschen wir noch vielen aus unseren Gemeinden.

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Stellenausschreibung

Dank zahlreicher Spenden wird zum 15. September 2012 im Ev. Kinder- und Jugendzentrum „Haltestelle“ eine 30% Stelle eingerichtet. Gesucht wird eine Person, die ca. 2x die Woche, mit pädagogischem Geschick und viel Geduld, ein offenes Ohr für die Belange der Kinder (6.-14. Jahre) hat. Die Stelle ist vorerst auf zwei Jahre befristet. Bei Interesse melden Sie sich bitte bis zum 1. September bei Pfarrer Martin Gentz.

Näheres zur Haltestelle gibt es unter http://www.haltestelleqlb.wordpress.com

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Gemeindeversammlung am 19.6.

Es ist schon schwierig mit einem Fußballspiel zu konkurrieren, aber mit zwei EM-Spielen? Der Termin dieser Gemeindeversammlung sollte aber unbedingt noch vor der Urlaubssaison liegen. Die erste positive Überraschung war, dass im Gemeindesaal noch Stühle dazu gestellt werden mussten.

Es ist doch gut zu spüren, dass es Gemeindeglieder gibt, die informiert sein wollen. Das Ergebnis spricht sehr für das Verantwortungsbewusstsein der Anwesenden. Man erwartet ja eigentlich die ewig Gestrigen, die Nörgler bei solcher Gelegenheit. Es war absolut das Gegenteil der Fall. Es gab zur Gründung der einen evangelischen Stadtgemeinde sachliche Nachfragen und keinen Widerspruch. Nach diesem Gemeindevotum werden nun die kirchenrechtlichen Schritte in die Wege geleitet. Ab 1. Januar 2013 wird der Zusammenschluss vollzogen werden.

Der viel erfreulichere zweite Teil war der sehr lebendig gestaltete Vortrag über die aktuellen Aktivitäten in der „Haltestelle“. Das hat sich beim Gemeindefest gezeigt. Es haben hoffentlich viele die freundlich und liebevoll gestalteten Räume der „Haltestelle“ besichtigt. Für eine regelmäßige finanzielle Beteiligung in den nächsten zwei Jahren oder aktive Unterstützung von Frau Staib möchte ich hier noch einmal sehr herzlich werben.

Zum Schluss wurde festgestellt, dass die Verteilung der gemeindlichen Veranstaltungen auf unsere vielen Räume derzeitig als gelungen betrachtet wird, und nicht verändert werden soll.

Im Namen des GKR möchte ich mich herzlich für die Unterstützung der Teilnehmenden bedanken.

Johanna-E. Schmidt-Schleiff, GKR-Vorsitzende

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